Weihnachten: Nerv und liebe Tradition

19.12.2024

Warum ich meine nervige Verwandtschaft zu Weihnachten einladen sollte

Es gibt so Tage, da fragt man sich wirklich, warum man sich das antut. Diese eine Tante, die immer zu viel redet. Der Onkel, der seine Witze seit 20 Jahren in Dauerschleife wiederholt. Der Cousin, der genau weiß, wie man alles besser macht und dabei eine nie enden wollende Erklärungswelle loslässt. Und dann ist da noch der Großvater, der sich nach dem 27. Glühwein fragt, ob er die ganze Familie nicht zu seiner Jugendzeit schon mal irgendwo getroffen hat.

Die Weihnachtszeit ist da – und ich stelle fest: Ich sollte meine nervige Verwandtschaft einladen. Ja, genau, ich habe diesen Gedanken wirklich ernsthaft und mit Bedacht gefasst. Warum? Weil es sich nicht nur um ein gesellschaftliches Ritual handelt, sondern um eine tiefere, existenzielle Entscheidung. Und nicht zuletzt auch um eine Lektion in Geduld und Mitmenschlichkeit.

1. Weihnachten ist der Moment des Zusammenhalts

Weihnachten ist der Moment, an dem wir alle an einem Tisch sitzen, um uns an das zu erinnern, was uns als Familie verbindet. Auch wenn es manchmal anstrengend ist, diese Menschen um sich zu haben, ist es doch der einzige Zeitpunkt im Jahr, an dem sich unsere bunten, zerrissenen Lebensfäden für ein paar Stunden zu einem Knäuel der Gemeinsamkeit verbinden. Ja, diese Menschen können einem den letzten Nerv rauben – aber sie sind auch die einzigen, die uns in den unterschiedlichsten Lebensphasen begleitet haben, uns aus tiefstem Herzen lieben (müssen), aber auch das Recht haben, uns mal auf den Senkel zu gehen.

Was wäre Weihnachten ohne diese familiären Dynamiken? Ohne den schiefen Chor von „Stille Nacht“ und das chaotische Durcheinander beim Geschenkeauspacken? Eine festliche Stille, die uns im Endeffekt leer zurücklässt. Vielleicht nicht jede Begegnung ist friedlich oder harmonisch, aber all diese Menschen sind die, mit denen wir durch die Höhen und Tiefen des Lebens gegangen sind. In dieser Hinsicht sind sie keine „nervige Verwandtschaft“, sondern ein Teil von uns.

2. Es geht um die Tradition, nicht um Perfektion

Wenn ich ehrlich bin, erwarte ich zu Weihnachten keine perfekte Harmonie. Es gibt keinen Grund, so zu tun, als hätten wir alle nur glückliche, zärtliche Momente miteinander. Stattdessen geht es um das Ritual, um die wiederholte Geste des Sich-Einladens, des Zusammenkommens, des Teilens. Jedes Jahr dasselbe – und trotzdem jedes Jahr anders. Und auch wenn ich mir oft vornehme, diesmal keine hitzigen Diskussionen über letztlich unwichtige Dinge zu führen, weiß ich tief im Inneren: Diese Gespräche gehören einfach dazu. Sie sind vielleicht nicht immer die angenehmsten, aber sie sind authentisch. Ich will die Menschen um mich haben, die mich kennen und mit denen ich mich – manchmal mit einer gehörigen Portion Humor – an den absurden Seiten des Lebens erfreue. Tradition ist, wenn man alles wiederholt, was man beim letzten Mal nicht ganz ernst gemeint hat.

3. Sie erinnern mich an das, was wirklich zählt

Weihnachten ist auch eine Zeit des Innehaltens. Wir schauen zurück auf das Jahr, auf die Höhepunkte und die Tiefen. Und genau diese oft „nervigen“ Verwandten sind die Menschen, die mir helfen, die Perspektive zu bewahren. Sie sind oft ungewollt die Spiegel, in denen ich mich selbst sehe – sei es der Onkel, der nicht aufhören kann, über die „gute alte Zeit“ zu reden, oder die Tante, die sich mit Liebe um das Wohl aller sorgt und dabei gern mal zu viel will. Sie sind die Erinnerungen an das, was uns geprägt hat. Ich würde viele dieser schrägen Charaktere im Alltag nicht unbedingt suchen, aber sie sind es, die mich mit der Frage konfrontieren, was wirklich zählt: die Zuneigung, das Miteinander, die Vergebung – und die Erkenntnis, dass wir alle nur Menschen sind. Und ja, diese oft unbeholfenen Annäherungen an das Gute gehören genauso dazu wie das Lachen und das Geschenkeauspacken.

4. Weil wir es vielleicht noch einmal tun können

Am Ende ist es eine Frage der Endlichkeit. Niemand weiß, wie viele Weihnachtsfeste wir noch gemeinsam feiern werden. Vielleicht ist es dieses Jahr das letzte, vielleicht das vorletzte. Aber was bleibt, sind die Erinnerungen, die wir miteinander teilen, auch wenn es nicht immer „perfekt“ war. Die „nervige Verwandtschaft“ ist ein Teil von mir, von uns. Wer weiß, ob ich in zehn Jahren noch dieselben Menschen um mich habe oder ob ich vielleicht derjenige bin, der als „nervig“ wahrgenommen wird. In dieser Perspektive wird das Einladen zu Weihnachten fast zu einem Akt der Wertschätzung – auch wenn es mit viel Geduld und Toleranz zu tun hat.

Fazit: Es ist die Entscheidung, die wir treffen

Ja, ich werde meine nervige Verwandtschaft einladen. Denn Weihnachten ist mehr als ein Fest der perfekten Momente – es ist das Fest des Miteinanders, des Akzeptierens und des Ertragens. Es ist das Fest der Traditionen, der Fehler und der Vergebung. Die „nervige“ Verwandtschaft sind nicht weniger wichtig als die, die uns immer nur in den schönsten Versionen ihrer selbst zeigen. Vielleicht ist es genau diese Vielfalt, die Weihnachten erst zu dem macht, was es ist – und vielleicht genau das, was es braucht, um uns zu erinnern, was im Leben wirklich zählt.

Und vielleicht, nur vielleicht, werden wir dieses Jahr tatsächlich den richtigen Ton bei „Stille Nacht“ treffen.

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